Wer Mitarbeitende kritisiert, kann einiges falsch machen. Wer davon absieht, erst recht.
Richtig zu kritisieren, ist eine Fähigkeit, die nur wenige besitzen. Wie Vorgesetzte den passenden Ton finden und weshalb sich Mitarbeitende von vernichtender Kritik keinesfalls entmutigen lassen sollten.
- von Manuela Specker -
Tiergeschichten lassen sich in den USA nicht verkaufen.» Diese derbe Abfuhr eines Verlegers kassierte George Orwell 1943 für sein Manuskript «Farm der Tiere». Thomas Manns «Buddenbrooks» wurde Anfang des 20. Jahrhunderts als «wertloses Gerede» abgetan. Der Schriftsteller könne «rundheraus nicht deutsch, seine Muttersprache versagt ihm für die einfachsten Ausdrücke», urteilte der deutsche Sprach- und Literaturwissenschafter Eduard Engel. Ein halbes Jahrhundert zuvor wurde Honoré de Balzac beschieden, dass es in seinen Romanen nichts gebe, was imaginative Gaben verrate. Balzac werde nie einen herausgehobenen Platz in der französischen Literatur einnehmen. Nun, bekanntlich irrten die Kritiker.
Die Beispiele zeigen eines: Es wäre töricht, sich von vernichtender Kritik entmutigen zu lassen. Und das gilt nicht nur für Literaten. Neid, Missgunst, defizitäres Urteilsvermögen – es gibt viele Gründe, warum Kritikern wenig Schmeichelhaftes über die Lippen geht. Je mehr die Kritik auf die Person statt auf die Sache zielt, desto mehr kann der Gescholtene davon ausgehen, dass die Worte weniger über seine tatsächlichen Fähigkeiten als über den Kritiker aussagen.
Erfolgt die Kritik sogar systematisch über einen längeren Zeitraum, kann von Mobbing und nicht von konstruktiver Kritik ausgegangen werden. Gemäss dem Sozialpsychologen Jens Eisermann ist in jedem zweiten Fall der Chef der Aggressor. Selbst berechtigte Kritik kann enormen Schaden anrichten – nämlich dann, wenn sie vor versammelter Menge erfolgt. Unrühmliches Beispiel ist der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der an einer Medienkonferenz die Contenance verlor und seinen Pressesprecher Michael Offer vor laufenden Kameras abkanzelte. Dieser nahm nach diesem Ereignis freiwillig den Hut, und Schäuble geriet ob seines cholerischen Ausbruchs in Erklärungsnotstand.
«Es ist generell sehr ungeschickt, einen Mitarbeiter vor der ganzen Gruppe abzustrafen. Da fragt sich jeder, wer wohl der Nächste ist. In so einer Unternehmenskultur werden Fehler vertuscht statt zugegeben», sagt der Karriereexperte Martin Wehrle. Kritik solle nicht automatisch auf die Person zielen. Im Nachhinein stelle sich nämlich oft heraus, dass die Schuld im System zu suchen sei und der betreffende Mitarbeiter einfach das letzte Glied in der Kette sei. Die auf Arbeitsrecht spezialisierte Karriereexpertin Sabine Hockling warnt vor vorschnellen Urteilen. Wer schon beim kleinsten Fehler ein Kritikgespräch einberufe, zerstöre jede Grundlage für eine lebendige Fehlerkultur.
Nicht vor versammelter Menge kritisieren, nicht auf die Person zielen – Kritik an Mitarbeitenden scheint für Vorgesetzte bisweilen einer Quadratur des Kreises gleichzukommen. Entsprechend tun sich viele Führungskräfte schwer damit. Umgekehrt macht sich keinen Gefallen, wer Kritik unterlässt. Dies wäre schon aus arbeitsrechtlicher Sicht reichlich ungeschickt. Wer sich nur im Stillen über einen Mitarbeiter ärgert und ihn stattdessen plötzlich mit einem Kündigungsschreiben vor vollendete Tatsachen stellt, hat vor dem Arbeitsgericht einen schweren Stand.
Gemäss einer Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater unter Personalberatungen ist mangelnde Kritikfähigkeit eine der Hauptursachen für gescheiterte Karrieren. Vorgesetzte sind deshalb gut beraten, wenn sie sich an den goldigen Mittelweg halten – und Mitarbeitende, wenn sie konstruktive Kritik annehmen, denn dies bedeutet immer auch, dass sie ernst genommen werden.
Distanz ist hingegen angebracht bei pauschalen Verurteilungen, die nichts über die tatsächlichen Fähigkeiten der betroffenen Mitarbeitenden aussagen. Abgesehen davon können auch Kritiker irren mit ihren Prognosen – wie sich nicht zuletzt im Literaturbetrieb immer wieder zeigt.
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