Unentschlossene Chefs, die Entscheide hinauszögern, sind eine Zumutung für Mitarbeitende
Zu den wichtigsten Aufgaben von Führungskräften gehört es, Entscheide zu fällen und dabei die richtige Balance zu finden. Das kann einem Kunststück gleich kommen.
Von Manuela Specker
Der kürzlich verstorbene deutsche Altkanzler Helmut Schmidt galt als ausgesprochen entscheidungsstark. Eine Eigenschaft, die in Führungspositionen nicht selbstverständlich ist. Zu den beiden Extremen zählen die Zauderer, die warten, bis sich die Dinge von selber erledigen oder eskalieren, und die Draufgänger, die wie eine Dampfwalze durch das Arbeitsleben rauschen, ohne sich die Konsequenzen ihrer Entscheide zu überlegen. Die Kunst für Führungskräfte besteht darin, den Mittelweg zu finden.
Wer ständig zaudert und unentschlossen ist, eignet sich nicht für eine Führungsaufgabe. Entscheidungsschwache Chefs sind nämlich eine Tortur für Mitarbeitende, da diese gerne wissen, woran sie sind anstatt ständig Richtungswechsel vornehmen zu müssen. Manche Chefs bleiben untätig, weil sie Angst vor einem Fehlentscheid haben – und vergessen dabei, dass auch Untätigkeit eine Form von Entscheid ist, da die Dinge einfach ihren Lauf nehmen und Alternativen ungeprüft bleiben. Das kann Unternehmen bis in den Ruin treiben.
Die grassierende Entscheidungsschwäche hat mit der schnelllebigen Zeit zu tun, in der sich das Wissen ständig erneuert – Digitalisierung und Globalisierung haben die Arbeitswelt radikal umgepflügt. Der Soziologe Ulrich Beck spricht von einer Risikogesellschaft, da die komplexen Folgen von Entscheidungen kaum mehr vorhersehbar sind. So erstaunt es nicht, dass in vielen Unternehmen die Absicherungskultur vorherrscht. Anstatt zu entscheiden, werden gerne Arbeitsgruppen gebildet, Projekte aufgesetzt und die Sachverhalte zu Tode diskutiert. „Manager wollen immer mehr in Gremien entscheiden“, sagt der Hamburger Wirtschaftsprofessor Rick Vogel. Das verlangsame die Prozesse und verwässert Entscheidungen, da sie am Ende immer nur ein Kompromiss sind.
Mit der grossen Menge an heute verfügbaren Informationen muss man erst einmal umzugehen wissen. Die „Wirtschaftswoche“ kam jüngst sogar zum Schluss, dass sich Manager vor lauter Input keine Entscheidungen mehr zutrauen. Aus der Hirnforschung ist bekannt: Je mehr Informationen zur Verfügung stehen, desto schwieriger fällt das Entscheiden. Im Zeitalter des Internets hat eine Führungskraft nahezu unbeschränkte Möglichkeiten, immer noch mehr Informationen zu sammeln, bevor Nägel mit Köpfen gemacht werden.
Eine umfassendere Datenlage bedeutet aber noch lange nicht, die besseren Entscheide zu treffen. Einer guten Führungskraft gelingt es vielmehr, den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, an dem genug Daten und Hintergrundinformationen gesammelt sowie Meinungen ausgetauscht worden sind. So werden Entscheide auf der Grundlage von Erfahrung, Bauchgefühl und gesundem Menschenverstand gefällt. Die reine Orientierung an Zahlen, Daten und Fakten gaukelt eine Sicherheit vor, die es nicht gibt – was an Entscheiden gut oder schlecht war, zeigt sich oft erst im Nachhinein.
Eine Untersuchung des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung in Berlin und der Universität Basel sieht einen Zusammenhang zwischen der bevorzugten Entscheidungsart und der eigenen Kompetenz: Führungskräfte mit einem grossen Erfahrungsschatz würden eher ihrem Bauchgefühl vertrauen. Und eben dieses Bauchgefühl ist in einer komplexer gewordenen Welt, in der die Wirkungsketten nicht mehr linear sind, wichtiger geworden.
Neben Erfahrung braucht es vor allem Mut, um zu einer entscheidungsstarken Persönlichkeit zu werden. Mut, für die eigenen Überzeugungen einzustehen. In aristotelischer Manier zahlt sich dabei die Orientierung am Mittelweg aus. Für Aristoteles war Mut der Mittelweg zwischen den beiden Extremen Feigheit (Entscheidungsschwäche) und Tollkühnkeit (Entscheiden, ohne zu reflektieren).
Helmut Schmidt verkörperte diesen Idealtypus. Er hatte seine Prinzipien, an denen er eisern festhielt, und er war so ziemlich das Gegenteil von dem, was gemeinhin als „Fahne im Wind“ bezeichnet wird. Mutige Entscheide schliessen Angst nicht aus, im Gegenteil: Schmidt stand öffentlich dazu, Angst vor dem Amt des Kanzlers gehabt zu haben. Neben Mut gibt es darum eine andere Eigenschaft, die entscheidungsstarke Führungspersönlichkeiten auszeichnet: Demut.
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