Wie die jährlichen Zielvereinbarungen die Mitarbeitenden demotivieren.
In jedem grösseren Unternehmen gehört das Vereinbaren von Zielen zum guten Ton. Aber trägt das tatsächlich zu besseren Leistungen bei?
Von Manuela Specker
Jedes Jahr das gleiche Prozedere: Auf der Grundlage von Unternehmenszielen legen Vorgesetzte individuelle Ziele für die Mitarbeitenden fest. „Zielvereinbarungsprozess“ nennt sich das passend bürokratisch. Dieser Automatismus wird mittlerweile kaum mehr kritisch hinterfragt, vor allem in grösseren Unternehmen mit komplizierten Strukturen. Führen ohne Ziele scheint undenkbar geworden zu sein. Dabei bleibt bis heute der Beweis schuldig, dass das hartnäckige Orientieren an Zielen tatsächlich Vorteile bringt – bisweilen kommt der ganze Zielsetzungsprozess eher einer Alibiübung gleich.
Entlarvend ist, dass in einer Umfrage des Beratungsunternehmens Saaman unter 700 Personen gerade einmal 27 Prozent ihre konkreten Ziele nennen konnten. Bei den Führungskräften waren es immerhin 52 Prozent. Die meisten waren der Ansicht, dass sich in ihrem eigenen Arbeitsbereich rein gar nichts verändern würde, wenn es plötzlich keine verbindlichen Zielvereinbarungen mehr geben würde. Werden die gesetzten Ziele nicht erreicht, schreibt das kaum jemand dem eigenen Versagen zu, sondern irgendwelchen äusseren Umständen. So verpuffen Ziele wirkungslos. Wenn das Nichterreichen keinerlei Konsequenzen nach sich zieht, kann man es nämlich genauso gut bleiben lassen.
Studienautor Wolfgang Saaman plädiert für Führung durch Verantwortung, dass also der Mitarbeitende aus der Übernahme von Verantwortung die Ziele selber ableitet. In eine ähnliche Richtung zielt der Führungsexperte Reinhard Sprenger. Er entlarvt die Zielsetzerei als eine Art Selbstberuhigungsprogramm. „Wir brauchen dringend die Wiedereinführung des Menschen ins Management. Das geht nur mit Dezentralisierung und kleinen Einheiten“, sagte er in einem Interview gegenüber dem Magazin „Cicero“. Kein Wunder, stellt er bei wirklich guten Leuten eine gewisse Konzernmüdigkeit fest. Denn was exzellente Mitarbeitende sich wünschen, seien Selbstentwicklungsmöglichkeiten – und nicht eine Kontrolle von oben anhand von Plänen, Zahlen und Zielen.
Nun gibt es Mitarbeitende, die funktionieren tatsächlich am besten, wenn ihnen konkrete Ziele vorgegeben und sie daran gemessen werden. Die Crux an der Sache: Sogar in solchen Fällen kann es passieren, dass die Zielsetzungsprozesse ihr Ziel verfehlen. Oft mangelt es an Instrumenten, wie die gesetzten Ziele überprüft werden können. Die Prozesse müssten im Prinzip rigoros dokumentiert, kommuniziert und gesteuert werden. Statt dessen werden einfach jedes Jahr routinemässig neue Ziele gesetzt. „In vielen Fällen wird erst kurz vor dem nächsten Gespräch wieder an die Ziele gedacht, das macht keinen Sinn“, hält Wolfgang Saaman fest. „Zielvereinbarungen drohen ins Nirwana der Bürokratie abzurutschen.“ Wenn schon, müssten Ziele flexibel angepasst und für kürzere Intervalle vereinbart werden.
Ähnlich klingt es bei Unternehmer Niels Pflaeging, Autor des Buches „Führen mit flexiblen Zielen“. Zielvereinbarungen seien Ausdruck eines Managements per Weisung und Kontrolle. In einem komplexen Umfeld kollabiere dieses Managementmodell, weil es vom Dogma der Steuerbarkeit ausgehe. Ziele könnten durchaus hilfreich sein – aber das bedinge Sinn, mit dem sich die Mitarbeitenden identifizieren können. Diese Sinnhaftigkeit ist spätestens dann in Gefahr, wenn alleine Ziele zählen, die messbar sind.
So werden die Mitarbeitenden zu reinen Reiz-Reaktionsmaschinen erzogen – Effort wird nur noch in jene Tätigkeiten gesteckt, die gemessen werden. Auf der Strecke bleibt in einem solchen Arbeitsumfeld der gesunde Menschenverstand und die intrinsische Motivation. Das ist nicht zum Vorteil des Unternehmens, das sich in Tat und Wahrheit von seinen Zielen entfernt, weil es sich zu sehr mit sich selber beschäftigt. Es ist auch nicht zum Vorteil der Mitarbeitenden, die sich vor lauter Zielen der Sinnhaftigkeit beraubt sehen. Nicht umsonst spricht Reinhard Sprenger von „Erniedrigungsbürokratie“. In seinem neuen Buch „Das anständige Unternehmen“ geht er mit den Zielvereinbarungen, welche Mitarbeitende mehr bevormunden als unterstützen, zu Recht hart ins Gericht.
Von aussen aufgezwungene Ziele sind Ausdruck eines ewiggestrigen Menschenbildes, da Mitarbeitende als unmündig und unselbstständig gesehen werden. Wenn schon Ziele gesetzt werden, sollten Mitarbeitende zumindest in den Prozess einbezogen werden. Das bedingt, dass sie ihre Stärken und Schwächen kennen und dass sie wissen, wo das Unternehmen steht, was sie zum Erfolg beitragen können und wohin sie beruflich wollen. Ziele setzen um der Ziele willen ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt.
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