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Der ewige Zweite - Chancen und Tücken der Stellvertreter-Rolle

Veröffentlicht am 21.07.2018 von Manuela Specker - Bildquelle: Thinkstock
Der ewige Zweite - Chancen und Tücken der Stellvertreter-Rolle

Über die Chancen und die Tücken der Stellvertreter-Rolle

Markus M. ist bereits seit über 17 Jahren im Unternehmen angestellt und hat schon so einige Höhen und Tiefen miterlebt. Restrukturierungen, den Umzug des Firmenhauptsitzes, Führungskräfte, die kamen und gingen, die reüssierten oder grandios scheitern. Nur etwas schien unverrückbar stabil: seine Stellvertreter-Position. Wann immer es brenzlig wurde oder ein abrupter Abgang des Abteilungschefs zu verkraften war, Markus M. war zur Stelle und hielt den Betrieb unaufgeregt und zuverlässig aufrecht, um danach wieder ohne Murren in die zweite Reihe zu treten und das Rampenlicht anderen zu überlassen.

So verwundert es nicht, dass er eines Tages das Angebot erhielt, nicht nur temporär, sondern fix die Stelle des Abteilungsleiters einzunehmen. Nach einigen schlaflosen Nächten und dem Abwägen der Vor- und Nachteile sagte er zum Erstaunen des Managements ab. „Es gibt geborene Stellvertreter. Für diese kann der Wechsel an die Spitze nach hinten losgehen“, sagt die Diplom-Psychologin und Karriereberaterin Madeleine Leitner in der „Süddeutschen Zeitung“. Es ist deshalb vernünftig, ein Führungsangebot nicht einfach anzunehmen, nur weil man sich geschmeichelt fühlt: „Der Weg zurück gilt als klassischer Karriereknick und ist, wenn überhaupt, nur mit grossen Schwierigkeiten zu realisieren.“ Ein guter Stellvertreter ist oft einer, der das Ganze im Überblick hat, der ein grosses Expertenwissen und Verantwortungsgefühl mitbringt – aber er ist nicht zwingend ein Leadertyp.

Allzu oft gilt der Stellvertreter, die Stellvertreterin automatisch als passende Nachfolge, dabei sind in dieser Rolle ganz andere Fähigkeiten gefragt denn als primus inter pares. So muss er sich mit Sicherheit damit abfinden können, dass er nicht Kapitän ist, sondern bestenfalls ein Steuermann, der wichtige Entscheide nicht selber fällt, sondern diese höchstens beeinflussen kann. Es handelt sich um eine Sandwich-Position par excellence: „Viele Stellvertreter fühlen sich eingequetscht zwischen den Ansprüchen von oben und denen von unten“, so Christian Sauer, Autor des Buches „Der Stellvertreter“. Sie dienen nicht selten als Klagemauer und sind besonders stark vom Goodwill der Vorgesetzten abhängig. Dafür haben sie mehr Einblick und Einfluss auf das betriebliche Geschehen.  

Unbestritten ist: Angestellte in Stellvertreter-Position sind nicht weniger wichtig. Darum sind Vorgesetzte gut beraten, wenn sie diese Rolle nicht auf die leichte Schulter nehmen, da ein Versagen am Ende immer auf sie zurückfällt. Das bedingt, dass sie die Grösse haben, den besten Kandidaten zum Stellvertretenden zu ernennen und sich nicht vom Gedanken leiten lassen, wer ihnen gefährlich werden und eines Tages an ihrem Stuhl sagen könnte. Sodann ist es wichtig, die Aufgaben und Kompetenzen klar zu definieren, um ein eingespieltes Team zu werden. Ist die Rolle des Stellvertreters nicht klar geregelt, oder ist diese Position sogar vakant, mangelt es oft sowohl an Klarheit als auch an Kompetenz. „Wo es keine Stellvertreter gibt, bleiben schon kleine Entscheidungen liegen“, meint Christian Sauer. Arbeitsprozesse verlangsamen sich, es fehlt an Ansprechpartnern, kurzfristige Ereignisse sind schwieriger zu bewältigen: Wie wichtig die passende Besetzung von Stellvertreter-Rollen sind, fällt oft erst auf, wenn sie selber ausfallen.

Markus M. überraschte zwar mit seiner Ablehnung des Führungspostens, aber am Ende waren alle einfach froh, dass er sich weiterhin mit der Stellvertreter-Position begnügte. Und da er schon so viele Vorgesetzte kommen und gehen sah, wurde er stattdessen in das Gremium berufen, dass die Wahl des neuen Abteilungsleiters diskutierte. Wer sollte denn besser wissen als er, welche Fähigkeiten und Charaktereigenschaften gefragt sind, um das Team erfolgreich in die Zukunft zu führen? Dafür kann er auch weiterhin operativ seinen Kernaufgaben widmen – statt wie der neue Vorgesetzte die meiste Zeit an Sitzungen verbringen zu müssen.